Berufliche Kompetenzentwicklung
Aktuellen Herausforderungen begegnen
Die digitale Transformation von Arbeit führt zu einer fortschreitenden Entgrenzung beruflich-fachlicher Spezialisierung: Fachexpertise reicht nicht mehr aus, denn gefragt sind vielfältig verantwortungsvoll handlungsfähige ArbeitnehmerInnen, die selbstorganisiert agieren können (vgl. Weber et al. 2019). Das übergeordnete Ziel von Kompetenzentwicklung muss daher die Entwicklung reflexiver Handlungsfähigkeit sein. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine betriebliche Bildungsarbeit angebracht, die vielfältige Formen des Lernens in Bezug zur Arbeit fördert, sodass ArbeitnehmerInnen ihre stets vorhandenen Kompetenzpotenziale konstant hin zu einer reflexiven Handlungsfähigkeit entwickeln können.
Kompetenz, Qualifikation, berufliche Handlungskompetenz
Kompetenz verweist auf das Handlungsvermögen einer Person. Dieses Handlungsvermögen umfasst Wissen, Fertigkeiten und Haltungen in Bezug auf konkrete fachliche oder überfachliche Themen, Methoden und Werkzeuge, auf die soziale Umwelt und zu sich selbst. Dieses Handlungsvermögen kann in aggregierter Form als fachliche, überfachliche, soziale und personale Kompetenzen systematisiert werden (vgl. Berding 2015).
Qualifikation meint die Summe aller Kompetenzen, die von einer Person verlangt werden, um eine Tätigkeit ausführen zu können bzw. ausführen zu dürfen. Eine Person ist qualifiziert, wenn sie die Anforderungen erfüllt, welche einerseits die ArbeitgeberInnen in Bezug auf die Ausführungen einer Tätigkeit und andererseits genau diese Tätigkeiten selbst stellen (vgl. Kuhlmeier 2015).
Auf struktureller Ebene kann man differenzieren in: (1) formale Kompetenz, die durch (Aus)Bildungsabschlüsse oder (Weiterbildungs)Zertifikate nachgewisen wird, (2) tatsächliche Kompetenz, d.h. das, was eine Person tatsächlich in der Lage ist zu tun, (3) formale Qualifikation, die von ArbeitgeberInnen z.B. in Stellenausschreibungen verlangt wird und (4) tatsächliche Qualifikation, die von der Tätigkeit selbst gefordert wird (vgl. Ellström 1997, siehe Abb. 1)
Berufliche Handlungskompetenz ist dynamisch und verbindet die individuellen Kompetenzen mit den gegebenen Qualifikationsanforderungen. Wir vertreten den Standpunkt, dass eine berufliche Handlungskompetenz mehr ist als Beschäftigungsfähigkeit (vgl. Esser 2015) und definieren sie als „die Bereitschaft und Befähigung, in beruflichen Situationen fach-, human- und sozialkompetent zu handeln und die eigene Handlungsfähigkeit in beruflicher und gesellschaftlicher Verantwortung weiterzuentwickeln“ (Dehnbostel 2007, S. 33).
Abb. 1: Kompetenz und Qualifikation in Anlehnung an Ellström 1997.
Leitziel: reflexive Handlungsfähigkeit
Im Kontext aktueller Herausforderungen verbindet die reflexive Handlungsfähigkeit ganzheitliche Facharbeit mit Innovations- und Gestaltungsansprüchen, die aus dem Wechselspiel von individueller Kompetenzentwicklung und kompetenzförderlichen Arbeits- und Handlungsbedingungen hervorgehen. „Reflexive Handlungsfähigkeit in der Arbeit heißt, im Prozess der Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle von Arbeitsaufgaben sowohl über die Strukturen und Umgebungen als auch über sich selbst zu reflektieren. Reflexivität meint die bewusste, kritische und verantwortliche Einschätzung und Bewertung von Handlungen auf der Basis eigener Erfahrungen und verfügbaren Wissens.“ (Dehnbostel 2007, S. 42)
Betriebliche Bildungsarbeit und Kompetenzentwicklung
Eine gezielte betriebliche Bildungsarbeit zu verfolgen, sollte Teil moderner Betriebsführung sein. Als Einheit von Berufsbildung, Personal- und Organisationsentwicklung umfasst betriebliche Bildungsarbeit „die Gesamtheit aller auf Individuen, Gruppen und Organisationen bezogenen Lernprozesse, die unmittelbar im Unternehmen stattfinden oder von diesem durchgeführt, veranlasst oder verantwortet werden.“ (Dehnbostel 2015, S. 29) Das Leitziel ist die Förderung einer möglichst optimalen Kompetenzentwicklung hin zur reflexiven Handlungsfähigkeit.
Kompetenzentwicklung ist der vom Subjekt und seinen biografisch eingebetteten Intentionen ausgehende, lebenslang andauernde Prozess der Entfaltung des individuellen Handlungsvermögens. Das bedeutet, dass die Kompetenzentwicklung durch die Bereitstellung von Lernmöglichkeiten von außen angeregt und gefördert werden sollte, dass es sich aber prinzipiell um durch die lernende Person individuell vollzogene Veränderungsprozesse handelt.
Kompetenzentwicklung findet demnach nicht nur dort statt, wo Lerninhalte in didaktisch-methodisch aufbereiteter Form rezipiert werden, sondern primär immer dann, wenn Menschen Handlungen setzen, diese reflektieren und aus den Handlungen selbst wie aus deren Ergebnissen Erkenntnisse ziehen, die wiederum in zukünftige Handlungen einfließen.
Eine betriebliche Bildungsarbeit, welche die individuelle Bildung von reflexiver Handlungsfähigkeit unterstützen möchte, sollte drei Komponenten in der Organisation von Arbeit beachten: 1) die Lern-, Arbeits- und Unternehmenskultur; 2) Lernpotenziale im Prozess der Arbeit; 3) Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten.
Im Rahmen dieser drei Komponenten sollten vielfältige Formen des Lernens ermöglicht werden:
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die Organisation oder Vermittlung von externen oder internen Kursen, Seminaren, Lehrgängen oder Ausbildungen (formales bzw. non-formales Lernen)
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die Möglichkeit, Arbeitsaufgaben zu beobachten, zu besprechen und zu analysieren, z.B. in Form von Unterweisungen, Besprechungen oder durch Mentoring (informelles Lernen)
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Angebote zum Kennenlernen neuer bzw. der Wechsel von Arbeitsaufgaben im Rahmen von Job-Rotation, Job-Enlargement oder Job-Enrichment (informelles Lernen)
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die Bereitstellung von Lernressourcen wie Bücher, Zeitschriften, oder E-Learning-Anwendungen (selbstgesteuertes Lernen)
Das Bindeglied zwischen den drei Bereichen betrieblicher Bildungsarbeit können ganzheitliche Verfahren der Kompetenzfeststellung, Kompetenzbeurteilung und Kompetenzanerkennung sein, wie sie im Ansatz der Kompetenzvalidierung Gestalt annehmen.
Literatur
Berding, F. (2016): Kompetenz in der beruflichen Bildung. In: Pahl, J.-P. (Hg.): Lexikon Berufsbildung, 3. erw. Aufl. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag, S. 486–487.
Dehnbostel, P. (2007): Lernen im Prozess der Arbeit. Münster: Waxmann.
Dehnbostel, P. (2015): Betriebliche Bildungsarbeit: Baltmannsweiler: Schneider.
Ellström, P.E. (1997): The many meanings of occupational competence and qualification. In: Journal of European Industrial Training, Vol. 21 Issue 6/7, pp. 266-273.
Kuhlmeier, W. (2016): Qualifikation. In: Pahl, J.-P. (Hg.): Lexikon Berufsbildung, 3. erw. Aufl. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag, S. 643-644.
Weber, E./Helmrich, R./Wolter, M.I./Zika, G. (2019): Wirtschaft 4.0 und die Folgen für Arbeitsmarkt und Bildung. In: Dobischat, R./Käpplinger, B./Molzberger, G./Münk, D. (Hg.): Bildung 2.1 für Industrie 4.0. Wiesbaden: Springer, S. 63-84.
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